Edition Zahnarztpraxis
Edition Dentallabor
Edition Zahnarztpraxis mit Dentallabor
Urteil
Begründung für Steigerungsfaktor nachträglich möglich
„Der behandelnde Arzt kann über die im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ erforderliche Begründung, die für die Fälligstellung der Rechnung erforderlich ist, auch noch im behördlichen sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Ausführungen dazu vorbringen, warum im jeweiligen Einzelfall das Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ gerechtfertigt war; dieses Vorbringen ist zu berücksichtigen. Eine Beschränkung dahingehend, dass der Arzt das Überschreiten des 2,3-fachen Satzes nachträglich im Verfahren nur noch erläutern, nicht jedoch um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe ergänzen darf, um die Besonderheiten des jeweiligen Behandlungsfalles nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ darzulegen, kann der GOZ nicht entnommen werden.“
- Das Urteil
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof begründet dies in seinem Urteil vom 23.03.2023 (Az. 24 B 20.549) wie folgt:
„Der Vergütungsanspruch des behandelnden Zahnarztes ergibt sich aus der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) … . Die Bemessung der Gebühren für Leistungen des Gebührenverzeichnisses ist in § 5 GOZ geregelt. Nach § 5 Absatz 1 Satz 1 GOZ bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes. Innerhalb des Gebührenrahmens sind die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ). Dabei bildet der 2,3-fache Gebührensatz – der sog. Schwellenwert – die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab; ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien dies rechtfertigen (§ 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ).
Die Annahme von Besonderheiten der Bemessungskriterien im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ setzt voraus, dass die Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten angewandte Behandlung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde. Diese Betrachtungsweise ergibt sich bereits aus der in § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ enthaltenen Anordnung einer schriftlichen Begründung beim Überschreitens des Schwellenwertes… . Ob „Besonderheiten“ der Bemessungskriterien im Sinne des zweiten Halbsatzes des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ vorliegen, die ein Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, ist gerichtlich voll nachprüfbar… .
Wann der Honoraranspruch des behandelnden Arztes fällig wird, regelt § 10 GOZ. Hierzu ist gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 GOZ dem Zahlungspflichtigen eine dieser Verordnung entsprechende Rechnung nach der Anlage 2 zu erteilen, die insbesondere die in § 10 Abs. 2 GOZ aufgeführten Positionen enthalten muss. Soweit die berechnete Gebühr das 2,3-fache des Gebührensatzes überschreitet, fordert § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ zusätzlich, dass in solchen Fällen dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich begründet werden muss. Auf Verlangen ist die Begründung näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ). Die Frage, ob der behandelnde Arzt, der eine Gebühr mit einem höheren als dem 2,3-fachen Satz abgerechnet hat, dies nach § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ gegenüber dem Patienten ausreichend begründet hat, ist damit eine Frage der Fälligkeit der Rechnung, die im Rahmen der formellen Voraussetzungen an die Rechnungsstellung zu prüfen ist, denn nur insoweit sind dem Beamten Aufwendungen entstanden. § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ betrifft damit nicht die materielle Rechtmäßigkeit des Vergütungsanspruches, also die Frage, ob die ärztliche Leistung medizinisch notwendig und angemessen ist.
Legt man diesen Maßstab – also die Abgrenzung der formellen Voraussetzungen des Honoraranspruches nach § 10 GOZ und der materiell-rechtlichen Anforderungen für das Überschreiten des Schwellenwertes nach § 5 Abs. 2 GOZ – zugrunde, ergibt sich hieraus, dass der behandelnde Arzt im behördlichen sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch Ausführungen zur Begründung für das Überschreiten des Schwellenwertes vorbringen, seine vorgebrachte Begründung erläutern und diese auch ergänzen darf, um hiermit die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten ärztlichen Leistung darzulegen. Eine Beschränkung dahingehend, dass der Arzt das Überschreiten des 2,3-fachen Satzes nachträglich im Verfahren nur noch erläutern, nicht jedoch um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe ergänzen darf, um die Besonderheiten des jeweiligen Behandlungsfalles nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ darzulegen, kann nach Ansicht des erkennenden Senats weder der GOZ noch der BayBhV entnommen werden Zudem bleibt es der Beihilfestelle unbenommen bei Zweifeln darüber, ob die in der Begründung dargelegten Umstände den Umfang des Überschreitens des Schwellenwertes rechtfertigen, den Beihilfeberechtigten zu bitten, die Begründung von seinem behandelnden Arzt erläutern zu lassen, § 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ. Zudem kann die Beihilfestelle nach § 28 Abs. 7 Satz 1 BayBhV zur Überprüfung von Notwendigkeit und Angemessenheit einzelner geltend gemachter Aufwendungen Gutachterinnen bzw. Gutachter, Beratungsärztinnen bzw. Beratungsärzte und sonstige geeignete Stellen beteiligen. Ein Anspruch des Beamten darauf, dass dies bereits im Festsetzungsverfahren geschieht, besteht indes nicht. Im Umkehrschluss kann aber auch nicht von der Beihilfestelle im gerichtlichen Verfahren eingewandt werden, dass die Begründung für das Überschreiten des Schwellenwertes erst verspätet nachgereicht worden sei. Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall einer fehlerhaften Arztrechnung – in dem zu beurteilenden Fall fehlte die Angabe der ärztlichen Diagnose – ausgeführt, dass dies ohne Folgen für den Beihilfeanspruch bleibt, wenn (erst) im Verwaltungsgerichtsverfahren die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten ärztlichen Leistung festgestellt wird… . Ein sachlicher Grund, die Fälle, in denen die Angabe der erforderlichen Diagnose erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgt ist, anders zu beurteilen als die Fälle, in denen der behandelnde Arzt die Begründung für das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes erst im Verfahren ergänzt, nachholt oder korrigiert, sieht der erkennende Senat nicht. Ein Leistungsausschluss ist vielmehr auch in diesen Fällen unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze nicht ersichtlich… .
An die im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ geforderte Begründung sind keine ins einzelne gehende Anforderungen zu stellen, um von einer formell ausreichenden Begründung ausgehen zu können… , da die Pflicht zur schriftlichen Begründung nur bezweckt, dem Patienten eine lediglich grobe Handhabung zur Einschätzung der Rechtfertigung des geltend gemachten Gebührenanspruchs an die Hand zu geben. Dies ist bereits daraus zu ersehen, dass die Begründung – nur – auf Verlangen des Patienten näher zu erläutern ist. Die Begründungspflicht dient dazu, den Patienten vor einem ausufernden, nicht mehr an Besonderheiten des Behandlungsfalles orientierten und auch vom Arzt so nicht mehr gedanklich nachvollzogenen Überschreiten des Schwellenwertes zu schützen und ihm eine grobe Handhabung zur Einschätzung des geltend gemachten Vergütungsanspruchs zu verschaffen. In der Regel wird es vielmehr genügen, stichwortartig das Vorliegen von Umständen, die das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen können, nachvollziehbar zu machen… . An eine ausreichende Begründung der Schwellenwertüberschreitung dürfen folglich keine überzogenen Anforderungen gestellt werden… . Andererseits muss die Begründung das Vorliegen solcher Umstände nachvollziehbar machen, die nach dem materiellen Gebührenrecht das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen können… . Es muss auf den Einzelfall bezogen begründet werden, welche Besonderheiten zu der berechneten Steigerung geführt haben. In der Regel wird eine stichwortartige Kurzbegründung ausreichen (vgl. die amtliche Begründung zu § 10 GOZ in BR - Drs. 276/87 S. 78). Der gegebenen Begründung muss sich also auf den Einzelfall bezogen entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der Fälle abweichende Besonderheit vorlag und worin diese Besonderheit bestand. Einer ausführlichen ärztlichen Stellungnahme, deren Anfertigung möglicherweise mehr Zeit in Anspruch nimmt als die abzurechnende Behandlung oder gar gutachtliche Stellungnahmen, bedarf es nicht… .“ - Kommentar
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit einem Sachverhalt zu befassen, in dem es um einen Beihilfeanspruch ging. Nichtsdestotrotz lassen sich die Feststellungen zwanglos auf private Krankenversicherungen übertragen. Die Kernaussage betrifft die Auslegung der GOZ und damit zusätzlich selbstverständlich auch den Fall, wenn ein Zahnarzt seine Rechnung gegenüber seinem Patienten durchsetzen möchte.
- Handlungsempfehlung
Steht die Begründung für die Wahl des Steigerungsfaktors in der Diskussion, sollte stets kritisch geprüft werden, ob sich die Begründung noch ergänzen lässt. Nach der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes kann dabei auch eine inhaltlich neue Begründung angeführt werden.
Dr. Susanna Zentai
Rechtsanwältin
www.dental-und-medizinrecht.de